Kanon

Benedikt Geulen  bg   28. März 2016

Die Kirche spricht gerne von kanonischen Büchern, die in Glaubensfragen zu konsultieren sind. In deutschen Lehranstalten werden traditionell Pläne mit dem wichtigsten Lesestoff für alle Schüler und Studenten verteilt. Großkritiker des deutschen Feuilletons haben uns bereits mit ihrem jeweiligen Literatur-Kanon beglückt und im Übrigen leben wir sowieso in einer sehr listenreichen Zeit: Listen der weltweit 20 besten Kaffeesorten, der 10 großartigsten Badelatschen oder der 27 tollsten Lippenstifte aller Zeiten werden gerne per Internet an alle, die es nicht wissen wollen verbreitet.

Was die Bücher und das Lesen angeht, so hat es neben den einschlägigen Empfehlungen der Literaturkritik immer schon die Lieblingsbücher vieler tausend Leserinnen und Leser gegeben. Diese beiden Kategorien konnte man nie wirklich miteinander vergleichen. Zudem dokumentieren die einschlägigen Bestseller-Listen einfach ein Ranking nach Verkausfszahlen, nicht aber gemäß nachhaltigen Leseerfahrungen des Publikums. Buchhändler konnten von der Diskrepanz zwischen Bestseller und Lieblingsbuch immer schon berichten, denn sie verkaufen übers Jahr gesehen ja längst nicht nur offizielle Superseller. Die sehr engagierten Mitarbeiter der Buchhandlung Schmitz in Essen Werden hatten im Jahr 2013 die Idee, einfach mal die eigenen Kundinnen und Kunden nach kurzen Rezensionen zu ihren jeweiligen Lieblingsbüchern zu fragen. Dabei kam ein sehr hübsches Buch heraus, der "Werdener Kanon der Literatur. 100 Leser, 100 Bücher, 100 Meinungen". Im Jahr darauf schlossen sich 18 weitere Buchhandlungen und für den 20sten Band 100 Buchprofis aus ganz Deutschland dem Projekt an. So enstand die vermutlich umfangreichste Sammlung individueller Lieblingsbuch-Empfehlungen, die jeweils auf den Markt kam. Von Sylt bis Ravensburg haben viele hundert Leser den jeweiligen Kanon ihrer Buchhandlung erhalten und darüber hinaus wurde das ganze in einer kleinen Auflage als schön ausgestattete Kassette mit allen Leinenbänden und einem zusätzlichen Registerband angeboten.

Ein Literatur-Kanon der ganz anderen Art, sozusagen basisdemokratische Literaturkritik.